Weihnachten! (Wein-achten!)

Weihnachten!

(2001 / Überarbeitung 2011)

Na Klasse. Da war es also wieder! Weihnachten! Niemand hat gefragt, ob das so sein muss, viele hatten es befürchtet und nun passierte es also tatsächlich schon wieder.

Die eine Hälfte der Feierer verfiel in die Euphorie des Backens, Geschenke Kaufens und dem nahezu krankhaften Zwang extrem nett zu den Mitmenschen sein zu müssen, in der vergeblichen Hoffnung, damit alle Schnitzer des abgelaufenen Jahrgangs wieder wett machen zu können.

Die andere Hälfte, der zwanghaft in diese Zuckergussarie hineinexpedierten Menschenmasse, bekam beim Anblick von weißen Rauschebärten weniger ein leuchtendes Feuer in den Augen, als vielmehr wieder mal ein nervöses Zucken in den Feuerzeugfingern. Sie waren angenervt beim Herüberwehen kinderchorinzinierter Weihnachtstöne und hofften, dass alles möglichst schnell vorüber wäre.

Wahre Freude käme bei ihnen eigentlich erst auf, wenn der Kaufhaus-Klaus frontal vom Linienbus erwischt worden wäre, was ihnen vielleicht sogar mal ein zynisches „Hoo-Hoo“ entlockt hätte.

Was aber war mit dieser Zeit anzufangen, hin- und hergerissen zwischen Weihnachtslust und -frust? Ließ man sich einlullen, gab man sich der Gefahr preis, man glaubte wirklich noch an Weihnachtsmann und Osterhase und sei irgendwie gefangen in einer nicht wirklich realen Welt! Verweigerte man die Teilnahme, sah das aus wie Spaßverweigerung an einer staatlich und kirchlich genehmigten Ausschweifung! Wie verhielt man sich also richtig? Konnte man sich überhaupt richtig oder falsch verhalten?

Wenn sich die allein lebende Unbekannte aus dem siebten Stock, bar familiärer Anbindung und Beziehung, sich himmelhoch jauchzend zu Tode stürzte, könnte sie damit Familie Meier im Parterre sicher das Fest verderben, da sie plötzlich verdreht in der weihnachtlichen Außenbeleuchtung hinge.

Wenn der vom Kaufhaus angemietete Weihnachtsmann die Kinderchen tätschelte und nach ihren Wünschen fragte, mochte das innerhalb der rotweißen Brutzeit sicherlich in Ordnung sein, aber wenn er das auch in der restlichen Zeit im Jahr machen würde, wäre das sicher sehr verdächtig.

Aber nein, das tat er nicht. Zumindest hätte man ihn im Hochsommer nicht mit diesem Weihnachtsmann in Verbindung gebracht. Und ein guter Weihnachtsmann beschenkt keine Kinder im Sommer mit Süßigkeiten. Kinder, die das nicht beherzigen, leben gefährlich.

Was aber nicht heißen soll, dass man zum Weihnachtsmann ins Auto steigen darf, nur weil Weihnachten ist und er seine Geschenke angeblich noch aus selbigen holen müsste.

Aber so einer war dieser Klaus nicht. Dieser Klaus meinte es wirklich ehrlich mit dem Weihnachtsgruß und seiner Liebe zu den Kleinen. Er nahm seinen Job mit dem Kinderkopfstreicheln sehr ernst.

Dieser Weihnachtsmann tätschelte allerdings nicht nur die Kinder, sondern bevorzugt auch die Mütter, wenn sie seiner Idealvorstellung von Frau entsprachen, unzensiert, unantastbar, beinahe schon mit bodenloser Narrenfreiheit. Und letztendlich bekam er ja auch noch acht Euro die Stunde bezahlt für diesen netten Service. Nun ja, wie gesagt, er hatte „beinahe“ bodenlose Narrenfreiheit!

Nach einem Riesenknall fand man ihn mit Veilchen in der Dekoration liegend und die wütende Mutter zog ihr Kind von dem Kaufhaus weg. Die Filialleitung war nicht sonderlich begeistert von der freizügigen Arbeitseinstellung und verzichtete fortan auf die Mitarbeit dieses Weihnachtsmannes.

Am nächsten Tag wurde sein Job von einem mechanischen Weihnachtsmann übernommen in den die Eltern ein 50 Centstück einwerfen mussten, damit der Klausi anfing „HooHoo“ zu sagen und den Kindern mit der Plastikhand emotionslos durchs Haar zu streichen.

„Wassss??…“ – (rassel rassel) der Arm wurde bewegt –
„wünscht du …“ (rassel schepper) der Körper beugte sich vor –
„dirrr denn, meinnn …“

In diesem Moment stoppte die Animatronik und die Eltern wurden aufgefordert, auf dem abseits aufgestellten Terminal „Mädchen“ oder „Junge“ auszuwählen. Erst kurz darauf fing der Klaus wieder an sich zu bewegen und sein Programm fortzuführen.

(Rassel) „…Mädchennn?“

Das leicht verstörte Kind antwortete ungläubig, den Blick immer wieder zu den Eltern wendend. „Das sollte der Weihnachtsmann sein? Wirklich?“ Die Eltern hingegen lächelten einander Weihnachtsblind zu, froh dem Kinde den Glauben an den amerikanischen Konsumgott für nur 50 Cent erkauft zu haben.

Am darauffolgenden Tag kam ein gerade arbeitslos gewordener, vom Glühwein beeinträchtigter Mann mit lila Schimmer ums Auge in die kaufhäusliche Weihnachtsdeko, steckte 50 Cent in den Schlitz (versuchte es zumindest) und verprügelte die Animatronik.

Auf dem Eingabedisplay blinkte die Eingabeaufforderung „(M)ädchen/(J)unge?“, während der Angetrunkene neben den Resten des Klausis saß und mit sich und seiner Tat zufrieden ein Weihnachtsliedchen vor sich hin summte.

Erschreckte Eltern hielten ihren Kindern die Augen zu und eilten sich, schnell vom Ort fort zu kommen. Der Mann unterbrach sein Liedchen derweil nur zeitweise, um dem zerknautschten aber unablässig gutmütig drein lächelnden Gesicht des Mechano-Weihnachtsmannes neue Beulen zu verpassen.

Der betörende Nachduft von zwei vornächtlichen Flaschen Wein ließ an diesem Vormittag einfach nicht von der Frau aus dem siebten Stock ab. Hoffte sie nach jeder Straßenecke, den Duft endlich abgehängt zu haben, kräuselten sich die Nasen der Passanten und zeigten ihr das hoffnungslose Unterfangen. Hektisch und nervös schlich sie zwischen den Weihnachtskranken hindurch und hielt die Tränen nur schwer zurück.

„Allein! Wieder einmal!“, verfolgte sie ihr Gedanke. Sie war auf der Flucht, der Flucht vor Weihnachten, der Flucht vor all den Verrückten, den einander wärmenden und dümmlich einander Anlächelnden. Kurz, sie versuchte vergeblich, Weihnachten zu entkommen und Weihnachten versuchte ihr Unterfangen zu ignorieren. Da stolperte sie plötzlich und tauchte endgültig in der Masse der Kaufberauschten unter, ohne weitere sichtbare gesamtbildstörende Spuren zu hinterlassen.

Als sie eine halbe Stunde später um eine Häuserecke verschwand, trug sie die Überreste des mechanischen Plastikklauses unter dem Mantel versteckt. Der Weinduft wurde von einem erkalteten Glühweinduft verfolgt, welcher schließlich Richtung des Hochhauses führte, in dem sie wohnte.

Familie Meier war gerade damit beschäftigt, die Außenbeleuchtung in die große Gartentanne zu hängen und den gemeinsamen Hauseingang zu verweihnachtlichen. Schnell den Weihnachtsmann mit dem Mantel verdeckend und ein gequältes Lächeln aufsetzend, zog die Frau an ihren Nachbarn vorbei.

Herr Meier konnte sich gar nicht daran erinnern, den Glühweintrinker als Nachbarn zu haben, als dieser ebenfalls vergebens lächelnd bemüht und ein wenig schlingernd meterweit hinter der Frau her tigerte. Der Glühweintrinker blieb stehen und betrachtete unangenehm lange das Gesicht von Herrn Meier, dessen von der Kälte gerötete Nase und auch der lange grauweiße Bart ihn an irgendwen erinnerte.

Als ihm endlich einfiel wo er das Gesicht unterzubringen hatte, schaukelte er schwankenden aber bestimmten Schrittes auf Herrn Meier zu, die Hand im Mantel zur Faust geballt. Doch ehe er Herrn Meier die Geballte präsentieren konnte ertönte ein Pfiff aus dem Hauseingang. Wie so oft auf dem Weg hierher musste die Frau aus dem siebten Stock den lädierten Weihnachtsmann herausholen und ihn dem Glühweintrinker zeigen. Dieser wechselte daraufhin die angesteuerte Richtung und schlich wieder auf die Frau zu. So verschwand die Frau mit dem Kopf und dem Glühweintrinker im Hausflur und schließlich im Fahrstuhl. Herr Meier schaute dem seltsamen Gespann noch einen Moment lang kopfschüttelnd nach.

Es war für Familie Meier insgesamt ein recht ereignisloses Weihnachtsfest. Die Familie knabberte die leckeren selbst gebackenen Plätzchen, Gedichte wurden vorgetragen und die DVD mit den schönsten Disney-Spielfilmausschnitten wurde doppelt geschenkt.

Für die Stockwerke ober- und unterhalb des Siebten wurde es ein etwas unruhiges Fest, denn es landete glücklicherweise keine Frau im Garten der Meiers. Diese feierte stattdessen ein etwas anderes Weihnachtsfest bei dem so manche Eltern ihren Kindern auch die Augen zuhalten würden, wenn sie nur die Hände von den Ohren nehmen dürften!

In diesem Sinne! Frohes Fest!

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