Ich wurde geboren in der Zeit der großen Gilden. Ich selbst gehöre in die der Weber. Dies erklärt auch meine, für einen Weber typische Kleidung: Eine schwere blaue Kutte mit weit nach unten fallenden Ärmeln. Mein Gesicht wird durch die große Kapuze versteckt. Nur meine leuchtend roten Augen sind ein warnendes Zeichen unserer Gilde.
Das wir Weber starke magische Fähigkeiten besitzen, ist für Sie sicherlich nichts neues. Wir lebten alle zusammen in unserem Stadtviertel von Mythonia. Meine Mutter war die Hohepriesterin. Sie hielt Messen, lehrte den Nachwuchs und schützte unser Viertel vor den bösen Mächten der Außenwelt.
Eines Tages kam ein Magier in eine unserer Messen. Niemand dachte sich etwas dabei, denn die Religion der Magier war der unseren sehr verwandt. Und da der Bund der Magier in Mythonia keinen eigenen Tempel errichten ließ, war es normal, daß sie zum meditieren in den unseren kamen.
Der Magier schritt durch die Reihen, bis er in der ersten Reihe angekommen war. Die Messe fing an. Die Priester begannen mit der Beschwörung des Schafgottes Goltgir und bereiteten alles für meine Mutter vor. Ich war damals noch ein kleiner Weberjunge, dennoch war ich, wie alle Weber, sehr gläubig. Ich sah, wie meine Mutter zur Zeremonie erschien. Die Trommeln hämmerten einen immer schnelleren Rhythmus.
Ich drängte mich derweil zu dem Magier vor. Schon immer war ich von den Fähigkeiten der Magier fasziniert und wollte irgendwann selbst zu einem in Lehre gehen.
Dieser Magier wirkte mit seinen freundlichen Augen und seinem langen weißen Bart besonders weise. Ich erzählte ihm, daß die Hohepriesterin meine Mutter sei. Er beugte sich zu mir herunter und sprach: „Ich weiß, mein Junge. Aber die Zeit drängt. Du hast seit meinem letztem Besuch schon viel gelernt. Doch versuche deine Macht auch zu gebrauchen.
Der Magier blickte kurz zum Altar und der Zeremonie. Dann legte er mir seine Hände auf die Schultern. „Höre Yandor!“, sein Gesicht wurde Ernst, „Zu einer vorbestimmten Zeit, wird ein Fremder deinen Tempel betreten. Er wird großes Unglück über dich und dein Volk bringen. Du wirst zu sehr von deiner Jugend geblendet sein, um das Vorherbestimmte zu verhindern. Doch gib auch dann die Hoffnung und deinen Lernfleiß nie auf. Wenn du alle Lektionen beherrscht, verlasse dein Viertel und begebe dich auf die Suche nach der Blüte des Lebens. Nur sie kann dein Volk befreien und das Glück zurückbringen.“
Der Magier schlug seine Kapuze zurück, so daß ich sein Haupt sehen konnte. Er hatte keine Kopfhaare mehr. Mich überkam ein breites Grinsen. Ich drehte meinen Kopf in Richtung der Zeremonie. ich wollte schauen, ob meine Mutter mich hier mit dem alten kahlköpfigen Magier sehen konnte.
Doch ihre Augen schauten eher entsetzt, oder zumindest erschreckt zu mir hin. Als hätte sie gehört, was der Weise zu mir gesagt hatte.
Die Hand des Magiers drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung: „Wenn ein Gelernter zu dir spricht, dann höre ihm gefälligst zu. Höre auf zu Träumen, höre auf deine natürlichen Gefühle, laß ihnen eine Chance. Tue es, denn deine Aufgabe wird nicht einfach sein und verlangt eine Menge Mut und Risikobereitschaft. Der Einzige, der den Platz der Blüte kennt, ist derselbe, der sie deinem Volk entrissen hat. Er wird auf dein Erscheinen vorbereitet sein, – Deine Macht testen. Dann kämpfe so fair, wie auch er es machen wird. Er wird dich nicht betrügen. Er weiß, welche Gefahren du durchstehen mußtest und versteht auch deinen Haß gegen sich. Doch verurteile seine Tat nicht zu hart, denn er wurde durch eine dunkle Macht dazu gezwungen.“
„Oh, Yandor! Verzeih mir…, meine Widerstandskraft läßt nach.“ Ich war sehr verwirrt über die nun eher weinerliche Stimme des Weisen. Tränen kamen über sein Gesicht. Ich wollte ihn trösten und strich über seinen langen weißen Bart.
Das Weiß seines Bartes blieb an meinen Händen kleben. Unter dem Weiß kam ein Rabenschwarz zum Vorschein. In Laufrichtung der Tränen war nun krustige dunkle Haut zu sehen. Ehe ich das Gesehene verarbeiten konnte, hob der Magier seine linke Hand von meiner Schulter, machte mit ihr eine kreisende Bewegung um mein Gesicht und schob sie dann Richtung Altar.
Ich merkte nur noch, wie ich wild durch die Luft rotierend in Richtung Altar geschleudert wurde und unsanft unter ihm auf dem Boden aufschlug. Es ging alles so schnell. Aus einer noch nie gefühlten Angst richtete ich meinen Blick in Richtung des Magiers. Erst jetzt konnte ich seine inneren Handflächen sehen. Sie trugen das Zeichen des Schwarzen Bundes eingebrannt.
Mein Großvater hatte mir oft von den schwarzen Magiern erzählt. Jeder von Ihnen hatte die Magie zum Wohle aller erlernt. Ihre Absichten waren rein, doch sie konnten nicht warten, bis ihre Ausbildung beendet war. Ein Hexer, der die Magiergilde schon immer haßte, bot den Lehrlingen einen schnelleren Abschluß und verführte sie zur schwarzen Magie.
Diese Magie war leichter zu erlernen, wirksamer und vor allem mächtiger als die Weiße. Die jungen Magier zahlten einen hohen Preis für ihr Vergehen. Die schwarze Magie wurde so stark in den Lernenden, daß sie sie selbst nicht mehr kontrollieren konnten.
Nicht mehr sie beherrschten die Magie, sondern die Magie beherrschte sie. Sie brachten viel Pech über ganze Länder, vernichteten Ernten und ganze Völker, und beschworen Naturkatastrophen hervor. Sie ziehen durch die Welt und warten auf den einen, der stärker, besser und mächtiger ist als sie; Auf der Suche nach Erlösung aus dem Hexenfluch. Ich glaubte meinem Großvater nie. Nun sah ich der Wahrheit ins Auge.
Die Trommeln verstummten plötzlich, ein Raunen ging durch die Menge. Der Magier sprach eine Formel und spreizte seine Arme seitlich über seinem Kopf. Es mußte ein Erstarrungszauber gewesen sein, denn alle Weber im Saal stockten in ihren Bewegungen, verloren ihre Sprache. Der Spruch schien auf mich nicht zu wirken. Dennoch waren meine Schmerzen zu groß, als daß ich mich hätte in Sicherheit bringen können.
Nun wußte ich, wie sich ein Opferlamm fühlen muß, wenn es an den Läufen gefesselt, an genau diesem Platz, auf seinen Tod wartete. Ich hörte Schritte hinter mir, die näherkamen und an mir vorbei auf den Magier zugingen. Dessen Äußeres hatte sich derweil so sehr verändert, daß nichts an ihm an die letzten Minuten erinnerte, als ich noch neben ihm stand. Er wirkte eher, wie einer dieser Dämonen, wie man sie in den Büchern der Alten sehen konnte.
Jetzt erkannte ich, daß es meine Mutter war, die an mir vorbeischritt: „Haltet ein, Bangar! Ich bin nicht zum Kampf bereit. Verschone mein Volk. Die Macht der Weber reicht nicht aus, um dich zu erlösen.“
Ein unbändiges, unmenschliches Lachen hallte durch den Tempel. Der Magier faßte in sein Gewandt und zog ein Buch heraus. Aus der Bewegung warf er es mir zu. Mein Kopf lag noch immer auf den Fliesen. Ich wagte nicht einmal mehr, zu atmen. Schweiß überkam mich. Immer noch lachte der Magier, dann richtete er sich an meine Mutter: „Ich weiß, Hohepriesterin. Ihr seid zu schwach und dennoch habe ich meinen Erlöser bereits bestimmt.“
Meine Mutter schaltete schnell und begann die ersten Worte des Umgarnungszaubers zu sprechen, um den Magier in ein Gewebe einzuspinnen. Der Magier sprach ebenfalls eine Formel und ballte seine Hände zu Fäusten; Der Kampf hatte begonnen. Das Garn meiner Mutter legte sich bereits um die Füße des Magiers, da richtete er seine Fäuste auf Mutter und spreizte die Finger. Grelle Blitze schossen aus seinen Händen. Ich schloß meine Augen. Das Licht war so wahnsinnig grell. Im selben Moment vernahm ich einen Aufschrei. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Ich wollte nur weg, die Augen noch fester schließen und dann aufwachen und alles wäre vorbei.
Dann nahm ich den Geruch von Feuer, Glut und Asche war. Warum wachte ich denn nun nicht endlich auf? Ich riß die Augen auf und fing an, zu schreien. Gleichzeitig überkamen mich Schmerz und Tränen. Ich sah, wie sich die Asche über mich und den Altar legte.
Der Magier befreite sich aus dem Zaubergarn und schritt auf mich zu. Sein Buch lag etwa zwei Meter vor mir. Er gab dem Buch einen Tritt, so daß es auf meinen Kopf zusauste. Ich riß meinen Kopf hoch, um dem Buch auszuweichen. Dennoch traf mich das Buch im Magen. Mir blieb die Luft weg. Mein Schreien wich einem Weinen. Ich krümmte mich auf dem Boden, hielt mit beiden Armen meinen Magen und zog die Beine an.
„Bitte weckt mich doch endlich.“, stammelte ich. Ein Schatten beugte sich über mich: „Hörst du endlich auf zu träumen, Weichling!“. Ich sah zu dem Magier auf. Er reformierte sich Stück für Stück. Die ersten weißen Barthaare waren schon zu sehen. Er deutete auf das Buch: „Du weißt, was du zu tun hast; Welche Erwartungen dein Volk und ich in dich setzt.“
Nun schien die Verwandlung beinahe abgeschlossen. Einzig seine Stimme war noch böse bestimmt. Er drehte sich um und ging in Richtung des Tempelausganges. Vorbei an den starren Gildenbrüdern. Durch die Halle hörte ich ihn rufen: „Du weißt, was du zu tun hast. Ich werde dich erwarten.“ Als er am Tor angekommen war und es schon einen Spalt geöffnet hatte, drehte er sich noch einmal zu mir hin. Ich hörte nun wieder die Stimme, die so weich war, daß man nichts Böses dahinter vermuten würde: „Erlöse mich, bring mir den Frieden und verzeih mir.“ Der Magier öffnete das Tor nun vollkommen. Das grelle Sonnenlicht erfüllte den dunklen Tempel. Die Sonne brannte in meinen Augen. Der Magier schritt in das Licht und das Tor fiel zu. Die Außenwelt ließ mich allein zurück.
Ja, ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich griff nach dem Buch, holte es hervor und laß den Titel: Die Kunst der schwarzen Magie. Ich fühlte, wie meine Kräfte langsam wieder stärker wurden und richtete mich auf. Haß erfüllte mich. All meine Verwandten, Nachbarn und Freunde waren zur Starrheit verdammt. Meine Mutter ist für mich gestorben. Warum das alles? Warum nur? Warum ich? Ich bin doch nur ein kleiner schwacher Weberjunge.
Ich wußte, daß dieses Buch auch meinen Untergang bedeuten könnte, wenn die Macht mich überkommt. Da war sie wieder, diese Angst. Die Angst vor dem Ungewissen, dem Unbekannten. Meine Hand zitterte, als ich den Einband nach links faltete und mein Blick auf die erste Seite fiel.
ENDE … ???
08.04.91