Ma ordentlik dissen!

„Ma ordentlik dissen!“

Es begann im Leben des noch jungen P. Tika. Er hatte seinen Führerschein gerade frisch erhalten und cruiste so durch die Nachbarprovinzen, um neue Gegenden abzuchecken, als er die Kurve ein wenig barsch nahm und einem Fußgänger beinahe die Hacken abfuhr. „Kannst du nicht aufpassen, du halber Hammel?“, rief ihm der Fußgänger an der nächsten Ampel zu. Gut, zu der Zeit gab es nur drei Fernsehsender und die meisten Geräte waren schwarz-weiss, aber etwas blieb.

Schon damals versetzte es Poli einen kleinen Stich ins Autofahrerherz, fuhr er doch HH auf seinem Kennzeichen. Der junge Mann sollte diesen Satz noch oft zu hören bekommen in den folgenden Jahren. Es schmerzte ihn arg, selbst wenn er sich einer besseren Fahrweise befleißigte und er seine ersten grauen Schläfen bekam.

„Ich bin bestimmt nicht der einzige, der laufend wegen seines Kreiszeichens diskriminiert wird“, dachte er. Nachdem alle wirklich wichtigen politischen Ziele im Jahre 2008 verwirklicht waren, setzte er es sich zum Ziel dieser Diskriminierung einen endgültigen Riegel vorzusetzen. „Die Amtszeichen gehören abgeschafft“, forderte er öffentlich.

Der allgemeinen Politikverdrossenheit wegen nahm kaum einer Anstoß an Tika´s Forderung und so kam es wie es kommen musste. Im Februar 2009 beschloss die fünfte außerordentliche Ausschusssitzung des Bundestages mit einer Anwesenheitsbeteiligung von fünf Delegierten und einem Diktiergerät mit einer Mehrheit von 89 Prozent die Abschaffung der Kreiszeichen.

Im Jahre des Herrn 2010 waren alle Kreiszeichen von den Autos verschwunden und durch unverfängliche Kennzeichen ersetzt. Das Personal der Verkehrsämter wurde in teuren Seminaren an die Änderungen herangeführt und die Schilderpressen wurden entsprechend umgerüstet. Inzwischen gab es im Internet einen Decodepatch v1.2, um von über die neuen Kennzeichen auf das ausstellende Verkehrsamt schließen zu können, um somit dennoch zu wissen woher der letzte Provinzidiot stammte.

Kaum ein Jahr nach der dritten großen deutschen Rechtsschreibreform, in der das „dasss“ künftig mit drei „s“ geschreiben werden musste, wenn darauf ein Nebensatz folgte, der ohne Bezug auf den Hauptsatz, aber mit einer eigenen Aussage daherkommt, die durch das „dasss“ noch einmal besonders unterstrichen werden muss… (Meine Güte, was für ein langer Satz und noch kein Ende in Sicht… doch jetzt!), passierte es!

Eine neue Welle der Empörung sorgte dafür, dasss die Diskriminierung wegen des geführten Fahrzeugherstellers oder des damit verbundenen Modells unterbunden wurde. Die Fahrzeughersteller mussten ihre Modelle soweit mit den Modellen anderer Hersteller vereinheitlichen, dasss es künftig keine Beschimpfungen als „blöder Popel-Fahrer“, oder „ViehWagen-Lenker“ mehr geben könne. Hersteller- und Modellcodierung durfte nur noch am Motorblock abgelesen werden.

Fast zeitgleich kam es unter den Zahlenfreaks zu ersten lustigen Zahlenkombinations-Diskriminalisierungen. Autofahrer mit mehr als zwei Sechsen im Nummernschild galten als Sexprotze, während Nummernschilder mit mehreren Nullen als schlechte Autofahrer galten. Wer zwei Nullen direkt hintereinander hatte, galt sogar als „Doppelnull“. Besonders witzig waren für die Kenner Nummernbestandteile wie etwa „7353“; ein Witz den nur Kopfsteher verstanden, wie einer der Freaks meinte.

Im Jahre 2020 eskalierten die Beleidigungsdelikte weit vor Taschendiebstählen und Hubschraubermissbräuchen in den vordersten Reihen der Polizeistatistiken, worauf auf höchster politischer Ebene folgender Beschluss gefasst wurde:

Kein Bürger darf auf Grund seines Namens, seiner Religion, seines geführten Lebensstils, seiner Herkunft, seines Fahrzeuges, seines Wohnortes oder etwaigen anderen in Unterparagraph Ziffer 2 betitelten Gründen heraus, verbal angegriffen oder öffentlich, oder heimlich diskriminiert werden.

Die Bewohner der Landkreise Ludwigslust und Schweinfurt forderten nach vielen Verstößen gegen die neue Verordnung die ersatzlose Streichung ihrer Ortschaftsnamen und Ersatz in Form einer unverfälschlichen Nummerncodierung!

Die Zeit ging ins Land und die Bürger von 4R56L4W5L9 fühlten sich jahrelang bestätigt, bis die Städter von 99877h54De bei einem Fußballspiel laut grölend die Spieler des 1.FC 4R56L4W5L9 als „7353.315’ler“ bezeichneten.

Schließlich folgte die vierte große 56B55DR4 Rechtsschreibreform des Jahres 2033, die verfügte, dass (wieder nur mit 2 „s“, nicht zu verwechseln mit „ß“) der gemeine 56B55DR4-de Sprachschatz um alle Worte gestrichen bzw. ersetzt werden mussten, die dazu benutzt werden könnten, einen anderen zu den98unzi2ere1n, zu verh4öhn8en oder sonst wie zu be9lei4digen.

Im Jahre 2091 war ein Großteil der neu benannten Republik 9-Tgf67 der festen Überzeugung, dass irgendetwas mit ihrem neuen Präsidenten j3-P/oo nicht stimmte, aber den Komikern des Landes fehlte es an Vokabular um die große … des Präsidenten zu bestimmen. Auch der Rest des Volkes wusste sich nicht mehr auszudrücken. Dabei war der neue Präsident wirklich ein …, ein …!

Ich versuche noch einen kurzen Blick ins Jahr 2102-B. Leider kommt mir die fünfte große Zahlenrekonstruktionsrechtschreibung in die Quere. Ich will mich der Einfachheit so ausdrücken: „6gd201dfgh1-155gjh43f3g4h/4h55h4hgh“ Nun, ich denke damit wäre alles gesagt!

Hey, Sie haben aber auch einen ordentlichen 3i5zbR im Gesicht. Wie können Sie mit so einem X343 leben, ohne 4HHgfs zu bekommen? … So schmeckt das dissen einfach nicht. Ich will mein PI zurück, mein HH, mein LWL.

Auf ein fröhliches Diskriminieren!

 

Kay Fiedler, Tornesch 20.08.2008

Das gegenseitige Andissen liegt (leider) in der Natur des offenen Menschen, der sich ausdrücken möchte. Und dabei muss eine „Beleidigung“ nicht immer gleich als solche aufgefasst werden. Bei einigen gehört ein kräftiges Beleidigen zu den täglichen Benimmregeln, ohne dass man dies Ernst nehmen sollte.

Gerade bei den Verkehrszeichen gehen die Bezeichnungen teilweise bis auf deren Einführung zurück und sollten daher liebevoll belächelt werden. Schließlich meint der Beleidiger den Beleidigten ja nicht persönlich und hat im Normfall ein eigenes „Angriffs“-Kennzeichen. Im Regelfall erwartet der Beleidiger wohl auch eher eine schlagfertige Konter, als einen Schmollwinkel. Wer so dünnhäutig ist, wie Poli Tika, sollte seine politischen Erwartungen nicht zu hoch setzen.

Mir persönlich hilft das fremde Kennzeichen in meinem Ortsgebiet (PI) meinen Mitverkehrsteilnehmer als ortsfremd einzustufen und besondere Rücksicht darauf zu nehmen, damit zu rechnen dass dieser unerwartet bremst, nach dem Weg fragt, zu spät merkt sich an der letzten Kreuzung geirrt zu haben und etwaige anderer solcher Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Zudem finde ich es schön zu sehen aus welchen Gegenden die Leute zu uns in die ausserhamburgische Landeierei finden.

Auch zu einer schnelleren Identifizierung nach einem Unfall mit Fahrerflucht ist es einfacher für einen Zeugen sagen zu können, es wäre ein grüner Opel Astra mit Münchner Kennzeichen gewesen, als sich in der Schrecksekunde einen komplexen Buchstaben-Ziffern-Mix zu merken.

Ich hoffe, dass die Äußerung wirklich nur eine unausgewägte Idee war und in den Archiven der Medienanstalten Staub ansetzt, ohne auf dem Steuersack der Bürger ausgetragen zu werden. Da gibt es wirklich wichtigere Dinge, die Regelungen bräuchten.

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