„Hält!“

Hält“

Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin einer von vielen… denke ich. Na ja, es ist vielmehr eine Hoffnung. Denn wenn ich einzig wäre, so würde ich mich selbst am Kragen packen und mich in die Geschlossene einliefern. Aber ich befürchte, dort auf mehr Leute zu treffen die vollen Verstandes sind, als hier draußen, somit wäre ich der einzig schwierige Fall. Die Basis dieser Theorie ist folgende: Verrückt sind wir eigentlich alle! Aber die, die sich durch ihre extreme Normalheit auffälliger verhalten als wir anderen, sind verdächtig. Um den Rest der Welt vor ihrer Normalität zu schützen, sorgt die Gesellschaft für ihre sichere Unterbringung in keimfreien Räumen.

Wie ich auf das Dach dieses Wohnblockes komme? Nun, das ist nicht so ganz einfach zu erklären. Ebenso wenig erklärbar für den überdurchschnittlichen Verstand mag es sein, dass ich hier in einem knallschwarzem enganliegenden Taucheranzug hocke, eine Zorromaske vom letzten Fasching aufhabe und bitterlich friere. Es ist mitten in der Nacht, der Regen hat die Dachschindeln durchtränkt und das Seil um den Schornstein müsste nach meiner Berechnung bis vor die Fenster des dritten Stockes reichen. Doch noch ist dort unten alles dunkel. Leichter Wind kommt auf und mein dunkelrotes Cape flattert ein wenig umher.

Erst jetzt werde ich mir meiner Ausstrahlung bewusst. Ich schaue auf die gähnend tote Straße, fünf Stockwerke unter mir. Ich erahne den Blick aus einem der Fenster der gegenüberliegenden Häuserblöcke. Womöglich sind es zwei Kinder, oh ja – mein scharfer Verstand spürt förmlich ihre Blicke. Ich werde die Kälte überwinden und mich in Position stellen, aufrecht, mit geschwollener Brust, dem Cape im Winde flatternd. Ich erahne, wie eines der Kinder auf mich zeigt und das andere Kind fragt, wer da wohl steht. Ja ja, schau du nur. Ich bin es! Ähm… ich … ähm… Mist! Nein, das ist nicht mein Name. Ich heiße nicht Mist. Aber bei all der Planung für mein Kostüm hatte ich keine Zeit dafür gefunden, mir ein Pseudonym einfallen zu lassen.

Mit einem guten Namen steht und fällt alles! Ich kann die besten Heldentaten vollbringen, die schönste aller Verkleidungen tragen, aber alles ist vergebens, wenn man keinen Namen hat. Viele gute Namen sind schon vergeben. Wenn ich Superkräfte hätte, ja dann wäre es einfach, dann wäre ich irgendein Held mit „Super“ im Namen. Das zieht immer und treibt die Auflage meiner ersten Comic-Serie in die Millionenhöhe, selbst wenn ich mich „Superheinz“ nennen würde. Ja, super wäre schon klasse, aber damit geht man ja auch eine ziemliche Verpflichtung ein.

Da ich aber als Heldenneuling mit Fehlschlägen rechnen muss, wäre „super“ eine zu große Verantwortung. Alle Prädikate darunter klingen allerdings nicht motivierend. Aber „Mittelmaß-Man“ hat irgendwie einfach nicht genügend Schwung im Namen. Und wahrscheinlich erwartete man von ihm erdig grünes unter den Fingernägeln und speckige Haare, bekleidet mit Jeans und Parker. Aber ich hatte ja einen Dress, eine Maske und Handschuhe. Auch Handschuhe sind wichtig! Sie müssen dünn genug sein, um alles was man anfasste noch erfühlen zu können. Besonders wichtig war die zum Kostüm passende Farbe. Und sie mussten dick genug sein, einem, wenn man auf einem nassen kalten Dach saß, noch ein wenig zu wärmen.

Meine Handschuhe erfüllten nur zwei dieser Eigenschaften. Sie passten zum Dress, in nahezu der gleichen Farbe wie mein Cape. Die Wahl der Farben war nicht einfach. Als modebewusster Neuheld muss man sich entsprechend in Szene setzen. Das Kostüm muss als Tarnung dienen können und soll trotzdem nicht einfach nur dunkel sein.

Wenn der Anspruch auf Tarnung nicht wäre, hätte ich vermutlich eher etwas in Silber gewählt, wobei ich gerade gelesen habe, das Silber nicht mehr hipp sei. Außerdem sei der Ausdruck hipp nicht mehr „in“. Es ist gar nicht so einfach, wenn man der Jugend als Symbol dienen will. (Das Wort Symbol wanderte kurz an mir vorüber, ohne ein „Klick“ zu hinterlassen.) Also guckte ich was, der Markt mir bot. Es sollte nicht einfach nur schwarz sein, diese Farbe mit der man selbst in dunkelster Nacht noch ein Loch in der Gegend hinterließ. Es musste irgendwie… na ja, irgendwie frischer sein. Als ich dann im Sportgeschäft dieses Knallschwarz sah, wusste ich, dass es die Farbe war, die ich suchte. Sie war schwarz, fiel sofort ins Auge und glänzte.

Ich war extra in die nächste Stadt gefahren, um so wenig nachvollziehbare Spuren wie möglich zu hinterlassen. Die Verkäuferin lächelte freundlich und ich sagte verlegen, dass ich zum Tauchen nach Mallorca fahren wolle. Damit sie mich auch wirklich nicht wiedererkennen konnte, trug ich die ganze Zeit meinen Trenchcoat und die dunkle Sonnenbrille. Das entsprach zwar einem gewissen Klischee, aber ich war der Meinung, dass es dazu gehörte, dass die Verkäuferin, wenn sie sich schon an etwas erinnern konnte, sich wenigstens an einen Mann erinnerte, der eben diesem Klischee entsprach.

Bei meinem Cape musste ich ein wenig improvisieren, sonst hätte ich es nicht mehr rechtzeitig hier auf das Dach geschafft. Da war dieser Duschvorhang, den meine Oma mir vor Jahren einmal geschenkt hatte. Er passte einfach nicht zu der Innenausstattung meines Bades und so lag er schon ewig im Schrank. Das Dunkelrot machte sich gut zu dem glänzenden schwarz des Taucheranzuges. Nach dieser Nacht würde ich ihn aber noch ein wenig kürzen. Nachdem ich mich im obersten Stockwerk umzog und ihn anlegte, stellte ich schon nach den ersten Treppenstufen zum Dach fest, dass er zu sehr hinter mir herschlurfte.

Auf die Schnelle dann auch noch passende Handschuhe zu finden war dagegen nicht ganz so einfach. In meinem Wäscheschrank waren nur noch die alten ausgefransten Motorrad-Handschuhe mit den gelben Streifen. Doch sie erfüllten schon mal zwei der geforderten Eigenschaften nicht. Sie waren zu dick und hatten die falsche Farbe. Die einzigen besseren Handschuhe fand ich unter der Spüle. Es waren die Haushaltshandschuhe, gekauft im zartem Rosa, waren sie inzwischen durch Gartenarbeiten irgendwo zwischen Rot und Schwarz. Das sie nicht ideal sind, war mir schon klar, aber sie sollten ihren Zweck ja nur heute erfüllen.

So stehe ich hier jetzt also, möglicherweise unter Beobachtung und stelle mich in siegreiche Pose. Ich rücke meinen Kampfgürtel zurecht und versuche ein möglichst hartgesottenes, furchtloses und mächtiges Gesicht aufzusetzen, auch wenn es in der Dunkelheit sicher nicht mal die beiden Kinder sehen könnten. Auch der eisige Wind ließ sich nicht überzeugen. Unablässig blies, er als wolle er meine Existenz gänzlich ignorieren. Es kostet mich einiges an Überzeugungskraft um den Stand zu behalten.

Während ich da so stehe und allmählich zu Eis erstarre, frage ich mich welcher schwachsinnige Geist den ersten Superhelden entsann und ihn in einen so wetterunkompatiblen Anzug steckte. Sicher wirkte es in Comics immer fesch, aber es ist einfach saukalt hier oben. Sicher versprachen sie Bewegungsfreiheit und betonten die Figur. Für den Sommer mag das schon gehen, aber warum haben sich keine Helden mit geteilter Sommer- und Wintergarderobe durchgesetzt? Nun gut, das Kostüm ist das Image eines Helden, aber man könnte doch das Heldensymbol auch auf eine dicke Daunenjacke nähen! (Erst jetzt schaltete das feinabgestimmte Superheldengehirn auf das Wort „Symbol“ und nur für ihn hörbar, machte es laut „Klick“.)

Ein Heldensymbol!! Ich hab das Heldensymbol vergessen! …Aber wozu brauchte ich es, da ich ja schließlich auch noch keinen Namen hatte? Wie sollten mich meine Fans schließlich wieder erkennen, ohne Symbol?

Wie lange wollen die Kinder eigentlich noch auf mich starren? Langsam werden meine Gelenke müde und ich kann nicht noch länger die Luft anhalten. Ich hebe den Arm und mache die Geste mit dem Daumen in die Richtung, in der ich die beiden Kinder vermute. Es ist die Art von Geste, die man macht, um Dritten zu vermitteln, dass man die Situation voll im Griff hat und alles in Ordnung sei. In diesem Falle hieß diese Geste: „Kinder (Wenn ihr da unten seid…)!!!! Ich habe alles unter Kontrolle. Solange ich hier wache, könnt ihr beruhigt Schlafen. Also geht Schlafen! Jetzt! Bitte! … BITTE!!!“. Zur Bekräftigung meiner Aussage drücke ich ein Auge zu. Jetzt heißt es abzuwarten.

Mit der Scharfsinnigkeit meiner Augen meine ich erkannt zu haben, dass sich hinter dem Fenster der Kinder keine Bewegung mehr regte. Damit regte sich jetzt dort nicht mehr als vorher, aber mein Gefühl sagte dass es deutlich weniger Bewegung war, als die einfache Definition von „keine“ Bewegung. Keine Bewegung ließ sich somit in verschiedene Grade einteilen und dieser Grad war irgendwo bei den Dingen, die sich nie bewegt hätten, wäre man sich nicht sicher gewesen, dass sie sich überhaupt hätten bewegen können. So gehe ich also davon aus, dass sie meinem Zeichen gefolgt sind. Erleichtert lasse ich wieder Luft in meine Lungen und schaue in die Tiefe unter mir.

Alles war ruhig. Die Straße scheint, bis auf einige kaum verdächtig wirkende im Minutentakt vorbeifahrende Autos absolut sicher zu sein. Auf Verbrechen wartend überschaue ich die Straße. Schlaft nur, meine lieben Mitbürger. Ich stehe hier und sorge dafür, dass ihr die Nacht ruhig übersteht. Natürlich ist es für einen Helden schwer zu erkennen, ob ein nicht stattfindendes Verbrechen auf die eigene Präsenz zurückzuführen ist. Aber wenn es trotz dem Vorhandensein eines Superhelden ein Verbrecher wagt, seinen Plan durchzuführen ist dies schier unverschämt, oder der Verbrecher hat mich versehentlich übersehen. Die Kunst daran, sich richtig zu verstecken bestand darin, für den Normalbürger unsichtbar zu bleiben und es auffällig genug zu tun, als das Fans und Verbrecher einen dennoch bemerkten!

Diese Nacht schien über mehr Stunden zu verfügen als andere Nächte. Eine Nacht verfügte dabei über etliche Möglichkeiten sich im Dunkeln an die Uhren wartender Menschen zu schleichen und sie zurück zu stellen. Hier auf dem Dach war ich der Nacht hoffnungslos ausgeliefert und sie nutzte es wirklich schamlos aus. Nach unendlich erscheinender Zeit und drei Autos später, schaue ich zur Uhr und es sind erst zehn Minuten vergangen. Immerhin wusste ich, dass ich hier nicht vergebens warte. Schließlich muss im dritten Stock unter mir irgendwann irgendetwas passieren und dann hätte ich meinen großen ersten Auftritt. Ich wusste nicht, wie dieses etwas wohl sein würde, also hoffe ich darauf, dass etwas bei seinem Tun möglichst auffällig sein würde. Ich erwarte irgendwie Schreie, Lichtkegel die die Scheiben des dritten Stockes von Innen ableuchten oder einen Pistolenschuss.

Woher ich von dem geplanten Verbrechen wusste? Ich hatte vorgestern dieses Gespräch im Supermarkt belauscht. Der Mann wollte sich heimlich in eben diese Wohnung schleichen während der Herr der Wohnung schliefe und dann seiner Frau etwas antun. Der Gedanke eines Tages ein Superheld zu sein schlummerte schon lange in mir. Und dies war meine Gelegenheit. Würde ich nur so auf dem Dach hocken und auf ein ungezieltes Verbrechen warten, könnte es Jahre dauern bis jemand meine Hilfe bräuchte. Aber in diesem Fall hatte ich, genau wie der Unhold, einen Plan.

Der Mann war kein völlig Unbekannter. Ich wohnte selbst in diesem Viertel und sah ihn oft verschwinden in einem der, diesem Haus gegenüber liegenden Hauseingange. Nachdem ich das Gespräch belauscht hatte, wurde mir sofort bewusst, dass der Mann schon immer so etwas unheimliches, verbrecherisches im Ausdruck hatte. Also beobachte ich seinen Hauseingang und den dritten Stock unter mir.

Wieder einmal muss ich ganz zur Dachrinne hin und über den Rand schauen. Als Held Angst zu zeigen liegt nicht drin, also schaue ich kalt lächelnd, während sich mir innerlich alles zusammenzieht.

Warum nur mussten Helden immer durch das Fenster gestürzt kommen? Konnten sie nicht das Treppenhaus benutzen und die Tür auf klassische Polizeimanier eintreten? Nein, Superhelden unterscheiden sich von den üblichen Ordnungshütern einfach schon dadurch, dass sie anders auftreten. Es war sozusagen eine Verpflichtung, die irgendwie mit dem Tragen einer Maske zusammenhing. Helden springen von Dächern. Helden fallen durch Fenster und landen immer auf den Füßen, einen lockeren Spruch auf den Lippen und mit einem unerbitterlichen kühlen Blick in den Augen.

Diesen Blick hatte ich den ganzen Morgen vor dem Spiegel geübt und bin der Meinung ihn beinahe zu einer eigenen Persönlichkeit perfektioniert zu haben. Zumindest bin ich mir sicher, dass ich mich zu Tode erschrecken würde, wenn mir jemand mit so einem Blick in den Augen gegenüberstand. Aber was für einen Spruch soll ich liefern, wenn ich nachher da im Zimmer stehen würde? „Halt, Schurke!“?

Sonderlich originell wäre das nicht, aber immerhin geradezu klassisch. Ich wusste nicht, mit welchem Spruch ich den Verbrecher am ehesten beeindrucken würde. Einer der etablierten Sprüche würde sicher wirken, aber er beinhaltete die Gefahr, dass mich der damit konfrontierte Übeltäter mit dem echten … ich meine mit dem ursprünglichen Spruchmacher, verwechselt. Ich wollte aber natürlich etwas eigenes bringen, ein Markenzeichen setzen, dass später auf T-Shirts steht.

Ich hab also weder einen Namen, noch ein Zeichen, noch einen markigen Spruch für den ich berühmt werden könnte. Es ist gar nicht so einfach ein Held zu sein.

Da huscht ein Schatten von dem Haus gegenüber über die Straße und verschwindet unter mir im Hauseingang. Ob er es sein wird? Noch einmal wage ich den Blick über die Rinne.

Endlich! Das Licht im Dritten ist endlich angegangen. Ich werde jetzt noch einen Moment abwarten, bevor ich mich an dem Seil in die Tiefe der Nacht schwinge. Ich will ihm da unten die Gelegenheit lassen, alles vorzubereiten, damit ich dann als strahlender Held, im letzten Moment, auftrumpfen kann.

Erst jetzt merke ich, wie tief es da runtergeht. Ich suche das Ende des Seils und nehme es fest in die Hände. Eigentlich müsste er da unten jetzt genug Zeit gehabt haben. Also bereite ich mich auf meinen Sprung vor. Routiniert nehme ich Schwung und zähle. „Drei, zwei, … eins …, ….“

Irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Mein Körper widersetzt sich meinem Befehl, ahnend dass dies nicht gut für mich ausgehen könne. Ich fange also nochmal von vorne an. „Drei, zwei, …“

Jetzt weiß ich´s!! Wenn Helden von Dächern stürzen, dann zählen sie nicht runter, sondern rauf. „Eins, zwei, …“ Ich schaff es nicht. Da steckt ein Held in mir und dann steckt er in einem unglaublich vorsichtigen Körper, geradezu übervorsichtig. Dabei war es das Markenzeichen eines Helden eben keine Angst zu zeigen. Ich glaube das mit dem „Held“ sein verschieben wir auf später. Jetzt ging es darum ein Vergehen zu stoppen. Dann wäre ich eben der erste Held der doch die Wohnungstür benutzt. Während ich noch das Seil zur Seite werfe, denke ich über den richtigen Spruch nach. „Lass ab, Halunke!“

Die nächsten Sekunden gab mir die Nacht all die Stunden auf einen Schlag zurück, die sie mir zuvor geklaut hatte. Es ist…  Es war die Art von schneller Zukunft die eine Gegenwart überholen konnte, und somit gleich zur Vergangenheit avancierte. Ich drehte mich zur Dachluke, machte zwei Schritte auf die Luke zu, rutschte aus, verfing mich im Seil und fiel rücklings über die Dachrinne. Einen hellen Schrei absondernd, sauste mein Körper meinem Gefühl eben dieses in Worte fassen zu können davon. In einem Slapstickfilm verließe ein geflügeltes Herz meinen Körper. Aber so fanden sich alle Teile meines Daseins, wenig später am Ende des Seils wieder, welche mich kopfüber im Bogen, Richtung Fenster leitete. Es war nicht das richtige Fenster, sondern das Fenster neben dem des Verbrechens.

Nicht nur Helden, auch Ganoven liebten es durch Fenster zu springen. Selbst Leute, die es nicht planten, fielen dann und wann mal durch Fenster. In Reinrassigen Actionfilmen wurden Leute auch schon mal durch ein geschlossenes Fenster geworfen. Eines hatten alle diese Szenen gemeinsam. Glas splitterte und spritzte Wasser gleich durch die Luft, während der Körper triumphierend oder überrascht durch die Öffnung kam.

Die Stundensekunde war noch nicht vorüber! Immer noch im gleichen Moment sah ich das Fenster, spürte schmerzlich den Aufprall, welcher geräuschtechnisch mit einem Schlag auf einen Gong zu vergleichen war und merkte das mein Seil keine weiteren Anstalten machte, mich weiter festzuhalten. Das letzte, das ich in dieser Sekunde merkte war das Gefühl von Büschen, die sich bemühten mir auszuweichen. Einzig die Geschwindigkeit in der ich mich bewegte machte dieses Unterfangen unmöglich. Vielleicht ließen sie sich damals auch einfach nur zu dicht am Haus pflanzen. Wer immer dafür verantwortlich war, ich hätte ihm sofort gedankt. Aber auch als Held braucht man mal eine Auszeit und mein Körper sagte mir, das dieser Zeitpunkt dafür ziemlich geeignet wäre.

Als ich die Augen aufmache sehe ich den Tag durch die Blätter hindurch. Die Zeit scheint wieder in einem geordneten Rhythmus abzulaufen. Anscheinend hat mich auch noch niemand hier unten gesehen. Autos fahren herum, Leute schreiten an dem Gebüsch vorbei in dem ich liege. Da mein Auftritt gestern Abend leider auch nicht so verlaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte, will ich auch dass es so bleibt. Meine normalen Sachen lagen leider immer noch oben vor der Dachluke. Immerhin hoffe ich das. Meine Glieder schmerzen und doch bin ich froh den Fall überlebt zu haben. Zumindest beweist es mir, dass mein Körper trotz der Angst wahre Heldenqualitäten hat. Als ich geschickt humpelnd um die Häuserecke schleichen will, sehe ich einige Polizeiwagen. Zwei Leichenwagen fahren gerade vom Hof und die Polizisten stehen in einer Traube betroffener und gaffender Menschen.

Ich hätte es verhindern können! Ich! Gestern war ich wirklich nur „Mittelmäßig-Man“!! Aber ich wusste es ja besser, musste den Helden spielen. Aber es ist nicht die Zeit für Selbstvorwürfe. Ich verziehe mich wieder in mein Gebüsch und warte bis Ruhe einkehrt. Ich nehme das Cape, den Gürtel und die blöde Maske ab. Als die gaffende Masse und die Ordnungshüter endlich fort sind, wage ich mich aus meinem Versteck. Mit einem Sprung stehe ich auf der Straße und gehe, mit dem Duschvorhang unter dem Arm, den Weg hinunter.

Eine dicke Frau kommt mir mit einem kleinen weißen Pudel entgegen. So wie sie schaut hat sie noch nie einen Mann im Taucheranzug gesehen. Okay, mitten im Winter inmitten der Stadt ist es vielleicht schon merkwürdig, zumal der Duschvorhang nicht zum Tauchen passt. Aber wenn sie nach einer Erklärung fragen würde, hätte ich schon eine brauchbare Ausrede parat gehabt. Aber sie fragt mich nicht. Entrüstet schaue ich zurück und strafe sie mit sturem Vorüberschreiten, während das weiße Wollknäuel verächtlich hinter mir herkläfft. Als ich endlich meine Sachen wiederhabe, bin ich froh, wenig später die Tür hinter mir ins Schloss fallen lassen zu können. Endlich daheim.

Es ist gar nicht so einfach ein Held zu sein, geschweige denn zu werden. Diesmal bin ich nur haarscharf daran vorbei. Morgen gehe ich wieder einkaufen, vielleicht schnappe ich wieder etwas auf.

Ein Vierteljahr später in einem Gerichtssaal steht der Angeklagte auf und gibt folgenden Tathergang zu Protokoll:

„Meine Frau war wie jeden Dienstag noch lange auf, weil sie angeblich noch auf ihre Mitternachtssendung im Fernsehen wartete. Wie jeden Dienstag war ich nach dem Abendessen besonders müde und ging Schlafen. Ich schlief fest, als irgendetwas gegen das Schlafzimmerfenster rummste und mich weckte. Aus dem Wohnzimmer drangen ungewöhnliche Geräusche herüber. Als ich aufstand um nachzusehen, sah ich diesen Kerl, wie er sich gerade hastig die Hose zuknöpfte und meine Frau wie sie ihre Bluse zurechtzupfte. Den Rest weiß ich nicht mehr. Irgendwie geriet ich in Wut und schließlich stand die Polizei vor mir.“

(… gar nicht so einfach ein Held zu sein.)

©2001 Kay Fiedler

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