Das Ü im Ü-Ei

Welch Schicksal hat mich ereilt? Ausgesperrt – Zerlegt – Allein im Dunkeln? Was habe ich denn verbrochen? Kaum dass mir bewusst wurde, dass ich mich auf einem Fließband befand und realisierte, ein Mini-Plastik-Bausatz für ein Happy-Hippo-Feuerwehrauto zu sein, fuhr ich in die nächste Fertigungsstrasse ein und es wurde wieder dunkel. Als das Außenlicht zurückkehrte, war alles um mich herum nur noch in einem unwirklichen grellen Gelb.

Neben mir lag eine Bauanleitung und es war plötzlich sehr eng. Ich kann nur erahnen was dann passierte, denn plötzlich roch es angenehm nach Schokolade. Fragt mich nicht, woher ich wusste wie Schokolade roch, ich wusste es einfach. Sehen konnte ich schließlich nichts mehr! Und an diesem Zustand sollte sich nun auch lange nichts mehr ändern. Ich wurde hin und wieder leicht geschüttelt, aber mein Gefühl für Zeit war einfach dahin.

In der Einsamkeit der Stunden und Wochen versuchte ich, mich mit der Bauanleitung zu unterhalten, aber da kam einfach nie eine Antwort, so sehr ich auch bemüht war. Es gab natürlich auch kaum Gesprächsthemen, schließlich konnte man sich schlecht über das Wetter unterhalten. Aber das war letztlich auch kein Grund gar nicht zu antworten. Alle Tage, wenn es denn Tage waren, probierte ich es mit einem „Ganz schön dunkel heute, nicht wahr? Ich meine dunkler als sonst, stimmt´s?“, aber das Ergebnis war immer gleich.

In meinem Leben war einfach noch nicht mehr passiert, als dass ich auf große Geschichten hätte zurückgreifen können. Ich hatte ja nicht einmal einen richtigen Namen. Aber einen Versuch war es wert: „Ich bin ein Original Ferrero Happy-Hippo-Feuerwehrauto™, aber du darfst mich Feuri nennen, wenn du magst!“ Es folgte nur Schweigen. Schließlich gab ich es auf. Minuten vergingen, wenn es denn Minuten waren.

Doch dann schien endlich wieder Bewegung in mein Leben zu kommen. Ich wurde heftigst gerüttelt, so dass meine Einzelteile nach draußen schreien wollten: „Ja doch! Ich bin ein Bausatz! Ich habe viele Einzelteile und jetzt bitte Schluss mit der Schüttelei!“ Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war und fing an meine Teile durchzuzählen, nur um sicher zu gehen, dass keines meiner Teile in die Tiefe der Dunkelheit entkommen ist, dann hörte das Geschüttel auf. Ich zählte auch die Anleitung auf, aber wieder kam keine Antwort. Vielleicht hatte die Schüttelei ja auch nur die Anleitung fortgerissen. Dann wäre es auch kein Verlust gewesen, meine Teile waren jedenfalls alle noch da.

Als nächstes vernahm ich ein Knistern wie von einem kleinen Lagerfeuer. Na gut, vielleicht war es auch das Knistern von Alupapier, nur ich hatte schon so lange keine Geräusche mehr gehört, die so dicht an mich herankamen. Schließlich gab es ein Knacken und es wurde Licht. Da war es wieder, dieses unwirklich anmutende gelbe Licht, dass obwohl es da war keine Umgebung freigab. Da war nur ich und diese nichts aussagende Bauanleitung.

Da passierte es! Es gab ein weiteres Knacken und plötzlich durchflutete echtes original Sonnenlicht™ die durchknackten Schalenteile. Meine Einzelteile segelten ohne Halt auseinander, dem Boden entgegen. Ich sah einen menschlichen Jungen und einen älteren männlichen Menschen. Der Aufprall kam schnell und hart. Da lag ich also mitten auf dem Gartentisch, umringt von zwei Augenpaaren. Der Jüngere griff nach mir, aber der Ältere meinte, dass dort ein Fachmann ranmüsse, und nahm mich dem Jungen wieder ab. Der Junge maulte und schnappte sich die Bauanleitung, die den Älteren nicht zu interessieren schien.

Der Fortlauf der Bemühungen, mich zusammen zu bauen verlief wundersam. Zwischenzeitlich hatte ich hinten drei Achsen und vorne gar keine, dafür passten die Sitzplätze für die Feuerwehrleute auch prima auf das Dach. Schließlich gab der Ältere auf und meinte, er hätte jetzt wichtigeres zu tun, als sich mit einem Kinderspielzeug abzugeben. Er warf mich halb zerlegt, halb falsch zusammengebaut zurück auf den Tisch. Er stand vom Gartenstuhl auf und wandte sich dem Grill zu, auf dem zwei dicke Weißwürste brutzelten.
So richtig wohl fühlte ich mich nicht. Was war denn das nun für ein blödes Leben? Da hockt man nun ständig neben einem verschwiegenen Zettel, nur um dann misshandelt auf einem Tisch zu enden, noch dazu unvollendet. Der Junge schaute sich vorsichtig nach dem Älteren um, nur um sicher zu gehen, dass dieser wirklich nicht nach mir schaute und griff nach meinen Teilen. Geschickt setzte er mich korrekt zusammen, während er hin und wieder in die Bauanleitung schaute. Endlich war ich fertig, ein schmuckes kleines original Ferrero Happy-Hippo-Feuerwehrauto™. Da hatte ich der hochnäsigen Anleitung am Ende doch noch etwas zu verdanken.

Der Ältere saß immer noch mit dem Rücken zu uns gekehrt und versicherte dem Jungen, dass er sich dem Zusammenbauen sofort wieder zuwenden würde, sobald er Zeit finden würde. Ohne zu antworten fuhr der Kleine mit mir gerade eine besonders heiße Kurve, haarscharf an der Tischkante vorbei. Hätte der Kleine mich nicht festgehalten, wäre ich gnadenlos in die Tiefe gestürzt.

Als der Ältere bemerkte, dass sein Versprechen vergebens war, wirkte dieser etwas beleidigt. Aber das machte mir nichts mehr aus, ich war komplett und ich hatte einen Spielkameraden, mehr war nicht wichtig! Auch wenn ich es damals nicht erwartet hatte, aber es war bestimmt der schönste und bewegenste Tag in meinem Leben.

©2001 Kay Fiedler

Das Ü im Ü-Ei

Das Original zu dieser Geschichte!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.